5-Minuten-Vorlesegeschichten für Menschen mit Demenz

5-Minuten-Vorlesegeschichten für Menschen mit Demenz

Ältere Menschen verfügen über einen reichhaltigen Erinnerungsschatz – der bei Demenz oder Alzheimer jedoch tief vergraben scheint. Es lohnt sich, ihn wieder in die Gegenwart zu holen! Die Erzählungen rufen Erinnerungen an längst vergangene Zeiten wach. An Weihnachtsbräuche von früher, an besondere Erlebnisse aus der Kindheit und Jugend rund um das Weihnachtsfest. Zudem wecken die Geschichten bei den Zuhörern ein warmes, heimeliges, vorweihnachtliches Gefühl. Denn der Advent ist für alle Generationen die Zeit, in der man sich auf das Fest der Liebe vorbereitet, Hoffnungen wach werden und Ruhe einkehrt.


Der kleine Naschengel

Es war einmal ein kleiner Engel, der hieß Bernadette.

Sie war ein fleißiges Engelchen, wenngleich noch recht jung, aber immer bei der Sache.
Ihr einziger Fehler war: sie war sehr vernascht.

Gott sei Dank aber hatte man sie ja nicht in der Weihnachtsbäckerei eingesetzt! Das hätte was gegeben. Sicher hätte sie – statt den Teig zu kneten, auszurollen, auszustechen und die herrlichsten Plätzchen zu formen – den ganzen Tag nur Teig, Schokolade, Nüsse und Plätzchen genascht.

Nein, nein, da war unser pflichtbewusstes Engelchen doch schon sehr froh, dass sie in der Geschenkeabteilung eingesetzt war und die Geschenke verpacken und verzieren und mit Namen versehen musste.

Das machte auch sehr großen Spaß, denn dabei stellte sich unsere kleine Bernadette immer vor, wie die Kinder unten auf der Erde am Weihnachtsabend mit leuchtenden Augen die Geschenke öffnen und sich freuen würden.

Doch eines Tages geschah es – das Engelchen Bernadette wurde in die Weihnachtsbackstube geschickt, um dort nach dem überfälligen Plätzchennachschub für die Geschenkeverpack-Abteilung zu fragen. Und kaum hatte sie die große Backstube betreten, stieg ihr auch schon der unvergleichliche, wunderbare Duft der vielen Plätzchen in die Nase und ihr lief so sehr das Wasser im Mund zusammen, dass sie gar nicht mehr wusste, weshalb man sie geschickt hatte.

Doch da kam auch schon der Bäckermeister-Engel und fragte: Naaa, Bernadette, was machst denn du hier?
Da fiel es Bernadette schnell wieder ein, weshalb man sie geschickt hatte.

Die Plätzchen haben wir ganz schnell, sagte der Bäckermeister. Wart doch einfach so lange hier, bis sie fertig sind. Aber nichts naschen! ermahnte er sie noch einmal vorsorglich.

Oh, was fiel das Bernadette schwer. Ihr Bäuchlein zog sich vor Appetit auf die herrlichen Plätzchen nur so zusammen und brummelte.

Da hatte der Bäckermeister Mitleid mit ihr und gab ihr eine kleine Handvoll frischer Plätzchen.

Aber das bleibt eine Ausnahme, sagte er streng, aber in seinen Augen sah man ihm die Freude über den Appetit seines kleinen Schützlings an.

Für Bernadette war es ein großartiger Tag. Sie aß genieserisch die Plätzchen, die sie bekommen hatte und schaute dem Bäckermeister aufmerksam dabei zu, wie er den Engeln die Anweisungen zu den einzelen Herstellungen der Plätzchen gab.

Das war ja gar nicht so schwer, dachte sich Bernadette bei sich.

Als ihre Plätzchen alle gegessen waren, waren auch die Plätzchen für den Geschenkeversand fertig und wurden ihr überreicht.

Oh, was war da die Versuchung bei unserem Engelchen groß, einige dieser Plätzchen beim Flug in ihre Abteilung zu naschen! Natürlich konnte sie nicht widerstehen.

Als der Aufsichts-Engel in der Abteilung jedoch begann, die Plätzchen nachzuzählen, wurde es unserem Engelchen angst und bange.

Und schon hatte der Aufsichts-Engel bemerkt, dass eine ganze Menge der Plätzchen fehlte. Als er auf das runde Bäuchlein der kleinen Bernadette blickte, war ihm auch direkt klar, wohin die Plätzchen verschwunden waren.

Da musste er den kleinen Engel aber mal gehörig zur Brust nehmen!

Gerade wollte er mit seiner Strafpredigt beginnen, da kam ganz aufgeregt der Weihnachtsmann in die Geschenkeabteilung gestürmt.

Welch ein Unglück! rief er.

Was ist denn geschehen? fragte der Aufsichts-Engel

Unserem Bäckermeister ist ein Blech auf den Fuß gefallen und nun kann er keine Plätzchen mehr backen für mindestens drei Tage. Und in zwei Tagen ist Heiligabend! Nun haben wir nicht genug Plätzchen für all die Kinder auf der Erde!!

Aber, wagte sich das Engelchen Bernadette zu sagen. Wieso backen denn nicht all die kleinen Engel in der Backstube alleine die Plätzchen?

Erstaunt sahen sie der Weihnachtsmann sowie der Aufsichts-Engel an.

Aber Bernadette, sagte der Weihnachtsmann. Die Engelchen wissen doch gar nicht, wie man die Plätzchen im einzeln zubereitet! Das weiß nur der Bäckermeister, er gibt den Engelchen genaue Anweisungen. — was sollen wir nun machen?

Nun ja, sagte der Aufsichts-Engel. Es sieht so aus, als würden dieses Jahr nicht alle Kinder auf der Erde Plätzchen zu Weihnachten bekommen können.

Bekümmert ließ er die Flügel hängen und auch der Weihnachtsmann machte ein ganz trauriges Gesicht.

Vielleicht kann ich euch helfen! rief das Engelchen, das seinen ganzen Mut zusammengenommen hatte.

Ich habe dem Bäckermeister zugeschaut und mir fast alle Plätzchen ganz genau gemerkt. Ich glaube, ich weiß, wie man sie zubereitet.

Aufsichts-Engel und Weihnachtsmann sahen Bernadette ungläubig an. Das hatte es ja noch nie gegeben, dass ein anderer Engel außer dem Bäckermeister wusste, wie die Plätzchen hergestellt wurden!

Aber die Plätzchen müssen ganz genau so schmecken wie jedes Jahr, wandte der Weihnachtsmann ein. Meinst du, das wirst du schaffen?

Aber sicher, rief das Engelchen aus. Ich esse die Plätzchen so gerne, dass ich den Unterschied sofort schmecken würde.

Dieses Argument überzeugte selbst den Aufsichts-Engel.

Wir sollten es wenigstens versuchen, meinte er.

Dann komm, Bernadette, rief der Weihnachtsmann. Du wirst ab sofort die Ersatz-Bäckermeisterin sein. Du bist zwar eigentlich noch ein bisschen zu klein, aber du schaffst das schon mit Hilfe der anderen Engelchen!

Bernadette wurde ganz rot und ihre Flügelchen zitterten vor Aufregung, als sie – in Schürze und Mützchen – die Backstube betrat.

Einen Moment war ich Köpfchen wie leer, sie konnte sich nicht mehr daran erinnern, wie der Bäckermeister die Plätzchen hergestellt hatte.

Doch dann dachte sie an all die ertäuschten Kinder auf der Erde, die keine Plätzchen bekommen würde. Und da fiel ihr alles wieder ein!

Und schon begann ein eifriges Arbeiten in der Backstube. Als die erste Ladung Plätzchen gebacken war, kam der Weihnachtsmann selbst, um sie zu kosten.

Er war begeistert. Sie schmeckten einfach herrlich!

Und so wurde weiter gebacken und Bernadette wies den Engeln ihre Aufgaben zu und vergaß vor lauter Arbeit fast, selbst das ein oder andere Plätzchen zu naschen.

An Heiligabend waren dann alle Plätzchen fertig gebacken und der Weihnachtsmann und das Christkind klopften dem Engelchen Bernadette noch einmal herzlich auf die Schulter.

Das hast du ganz toll gemacht, Bernadette, sagte der Weihnachtsmann.

Nur durch dich werden alle Kinder auf der Erde auch dies Jahr ihre Plätzchen bekommen!

Da strahlte das Engelchen vor Freude.

Und als der Bäckermeister wieder gesund war, musste sie natürlich nicht wieder zurück in die Geschenkeabteilung, sondern stand ihm als Gehilfe zur Seite…

Und auch wenn das ein oder andere Plätzchen dabei in ihrem Bäuchlein landete, waren alle froh darüber, dass sie nun zwei Engel im Himmel hatten, welche die Plätzchen backen konnten.

Und deswegen haben wir auch jedes Jahr wieder einen Haufen leckere Plätzchen unterm Weihnachtsbaum, gebacken von dem Engel Bernadette und dem himmlischen Bäckermeister.

von Daniela Deuser, Quelle: Weihnachtsstadt